Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Französischer Bericht über die Schlacht von Mont St. Jean.[]

[1]
Am 18ten, um 9 Uhr Morgens, als der Regen etwas nachgelassen hatte, setzte sich das erste Corps in Bewegung, und stellte sich, mit der linken Flanke an der Straße nach Brüssel, dem Dorfe Mont St. Jean gegenüber, auf welches der Mittelpunkt der Stellung des Feindes zu seyn schien. Das 2te Corps lehnte seine rechte Flanke an die Straße von Brüssel, und seine linke an ein kleines Gehölz auf Kanonenschußweite von der Englischen Armee. Die Cuirassiere rückten hinterhin, und die Garde auf die Anhöhen als Reserve. Das 6te Corps nebst der Cavallerie des Generals d'Aumont unter Commando des Grafen Lobau war bestimmt, hinter unserm rechten Flügel zu rücken, um sich einem Preußischen Corps entgegenzustellen, welches dem Marschall Grouchy entkommen zu seyn, und die Absicht zu haben schien, in unsere rechte Flanke zu fallen, welches wir aus unseren Rapporten und aus einem Schreiben des Preußischen Generals erfahren hatten, welches eine Ordonnanz, die unsere leichten Truppen auffingen, überbringen sollte.

Die Truppen waren voll Eifer. Man schätzte die Stärke der Englischen Armee auf 80,000 Mann; man setzte voraus, daß ein Preußisches Corps, das gegen Abend schlagfertig seyn konnte, 15,000 Mann stark seyn konnte. Die feindlichen Streitkräfte beliefen sich also auf mehr als 90,000 Mann. Die unsrigen waren weniger zahlreich.

Um Mittag waren alle Vorbereitungen beendigt; der Prinz Hieronymus, der eine Division des 2ten Corps commandirte, und damit den äußersten linken Flügel bilden sollte, rückte gegen das Gehölz, wovon der Feind einen Theil besetzt hielt. Die Kanonade begann; der Feind unterstützte die Truppen, die er zur Behauptung des Gehölzes detaschirt hatte, mit 30 Kanonen. Wir trafen unserer Seits gleichfalls Artillerie-Dispositionen. Um 1 Uhr war der Prinz Hieronymus Meister des ganzes Gehölzes, und die ganze Englische Armee zog sich hinter eine Anhöhe zurück, die sie verdeckte. Der Graf von Erlon griff sodann das Dorf Mont St. Jean an, und ließ seinen Angriff durch 80 Kanonen unterstützen. Es entspann sich hier eine fürchterliche Kanonade, wodurch die Englische Armee sehr gelitten haben muß. Alle Schüsse fielen auf das Plateau. Eine Brigade der ersten Division des Grafen Erlon bemächtigte sich des Dorfes Mont St. Jean; eine zweyte Brigade wurde von einem Corps Englischer Cavallerie angegriffen, das ihr großen Verlust beybrachte. In demselben Augenblicke griff eine Englische Cavallerie-Division die Batterie des Grafen Erlon in der rechten Flanke an und brachte mehrere Stück Geschütz in Unordnung; aber die Cuirassiere des Generals Milhaud griffen diese Division an, wovon drey Regimenter durchbrochen und niedergemacht wurden.

Es war 3 Uhr Nachmittags. Der Kayser ließ die Garde vorrücken, um sie in der Ebene auf dem Platze aufzustellen, wo das erste Corps zu Anfang des Gefechts gestanden hatte, da dieses Corps schon weiter vorgerückt war. Die Preußische Division, deren Bewegung man vorausgesehen hatte, engagirte sich hierauf mit den Tirailleurs des Grafen Lobau, indem sie ihr Feuer gegen unsere ganze rechte Flanke ausdehnte. Es war zweckmäßig, bevor anderwärts etwas unternommen wurde, den Ausgang dieses Angriffs abzuwarten. Zu diesem Ende war die ganze Reserve in Bereitschaft, um dem Grafen Lobau zu Hülfe zu eilen, und das Preußische Corps zu vernichten, wenn es vorgerückt seyn würde.

Wenn dies geschehen gewesen wäre, hatte der Kayser die Absicht, einen Angriff durch das Dorf Mont St. Jean zu führen, wovon man sich einen entscheidenden Erfolg versprach; aber in einem Anfalle von Ungeduld, wie sie so häufig in unseren militairischen Annalen sind, und uns so oft schon so verderblich waren, rückte die Reserve-Cavallerie, da sie eine rückgängige Bewegung bemerkt hatte, welche die Engländer machten, um sich gegen die Batterien, von denen sie schon so sehr gelitten hatten, zu decken, auf die Anhöhen von Mont St. Jean, und griff die Infanterie an. Diese Bewegung, welche zu rechter Zeit ausgeführt, und von der Reserve unterstützt, die Schlacht entscheiden sollte, schlug, da sie isolirt, und bevor die Sache auf dem rechten Flügel zu Ende war, geschah, zum Unglück aus.

Da es kein Mittel mehr gab, sie zu contremandiren und der Feind viele Infanterie- und Cavallerie-Massen ins Gefecht brachte, und seine beyden Cuirassier-Divisionen engagirt waren, eilte unsere gesammte Cavallerie in demselben Augenblicke herbey, um ihre Cammeraden zu unterstützen; hier geschahen drey Stunden hindurch zahlreiche Angriffe, in denen wir mehrere Quarrés durchbrachen und sechs Englischen Infanterie Fahnen erbeuteten, -- ein Vortheil außer allem Verhältnisse mit dem Verluste, den unsere Cavallerie durch das Kartätschen- und Kleingewehrfeuer erlitt. Es war unmöglich, über unsere Infanterie-Reserve zu disponiren, bis man nicht den Flanken-Angriff des Preußischen Corps abgeschlagen haben würde. Dieser Angriff ward immer ausgedehnter und fiel senkrecht auf unsere rechte Flanke. Der Kayser schickte den General Duhesme mit der jungen Garde und mehreren Reserve-Batterien dahin. Der Feind wurde in Zaum gehalten, zurückgetrieben, und wich; er hatte seine Kräfte erschöpft, und man hatte nichts mehr von ihm zu befürchten. Dieß war der Augenblick, wo das Centrum des Feindes hätte angegriffen werden müssen. Da die Cuirassiere durch das Kartätschenfeuer litten, wurden vier Bataillons der mittleren Garde (moyenne garde) abgeschickt, um die Cuirassiere zu schützen, die Position zu behaupten und wo möglich einen Theil unserer Cavallerie frey zu machen, und in die Ebene herabzubringen.

Zwey andere Bataillons wurden detaschirt, um sich an dem äußersten linken Flügel der Division, die gegen unsere Flanken manövrirt hatte, im Haken (en potence) aufzustellen; der Ueberrest wurde als Reserve gebraucht, theils um den Galgen hinter Mont St. Jean zu besetzen, theils auf dem Plateau hinter dem Schlachtfelde, welches unsere Rückzugsposition bildete.

In dieser Lage der Dinge war die Schlacht gewonnen; wir waren im Besitz aller Stellungen, die der Feind zu Anfang des Gefechtes besetzt hatte; da unsere Cavallerie zu früh und schlecht verwendet worden war, so konnten wir keine entscheidende Successe mehr hoffen; aber der Marschall Grouchy, nachdem er die Bewegungen des Preußischen Corps vernommen hatte, marschirte in den Rücken dieses Corps, welches uns für den folgenden Tag einen auffallenden Succeß sicherte. Nach einem neunstündigen Infanterie- und Cavallerie-Angriffe sah die ganze Armee mit Vergnügen die Schlacht gewonnen und das Schlachtfeld in unserer Gewalt.

Gegen halb 9 Uhr machten die vier Bataillons der mittlern Garde, welche auf das Plateau jenseits Mont St. Jean geschickt worden waren, um die Cuirassiere zu unterstützen, da sie vom Kartätschenfeuer sehr hart mitgenommen wurden, einen Angriff mit dem Bajonett auf die feindlichen Batterien. Die Nacht brach heran; ein von mehreren Englischen Escadrons gegen ihre rechte Flanke ausgeführter ausgeführter Angriff brachten sie in Unordnung; die Fliehenden gingen über den Graben zurück; die nahestehenden Regimenter, welche Truppen, die zur Garde gehörten, in unordentlicher Flucht sahen, glaubten, es sey die alte Garde, und fingen an zu wanken; das Geschrey: "Alles ist verloren; die Soldaten behaupten sogar, daß Uebelgesinnte, die auf mehreren Puncten auflauerten, sauve qui peut (rette sich, wer da kann!) gerufen hätten. -- Dem sey wie da wolle, ein panischer Schrecken verbreitete sich mit einem Male über das ganze Schlachtfeld; man stürzte in größter Unordnung auf die Communicationslinie; Soldaten, Kanoniere, Pulverkarren, alles drängte sich dahin; die alte Garde, die in Reserve stand, ward von diesem Trosse angefallen und selbst damit fortgerissen.

In einem Augenblicke war die ganze Armee nichts mehr, als eine verworrene Masse, alle Waffengattungen waren durch einander gemengt, und es war unmöglich ein Corps neu zu formiren. Der Feind, der diese erstaunliche Verwirrung gewahr wurde, ließ Cavallerie-Colonnen vorrücken; die Unordnung riß noch mehr ein; die Verworrenheit der Nacht hinderte die Truppen zu sammeln, und sie ihres Irrthums zu überweisen.

So ward eine beendigte Schlacht, ein Tag, an welchem falsche Maaßregeln wieder gut gemacht worden waren, so wurden die größten Successe, deren man sich für den folgenden Tag versicherte hatte, -- alles durch einen Augenblick panischen Schreckens verloren. Selbst die zum Dienst beym Kayser, an der Seite desselben aufgestellten Escadronen wurden von diesen stürmischen Fluthen niedergerissen und desorganisirt, und es blieb nichts mehr übrig, als dem Strome zu folgen. Die Reserve-Parks, die Bagagen, die nicht über die Sambre zurückgegangen waren, alles was auf dem Schlachtfelde war, fiel in die Gewalt des Feindes. Es war sogar kein Mittel möglich, die Truppen unseres rechten Flügels zu erwarten; es ist bekannt, was die tapferste Armee von der Welt ist, wenn sie durch einander gemengt wird, und ihre Organisation nicht mehr besteht.

Der Kayser ist am 19ten, um 5 Uhr Morgens bey Charleroy über die Sambre gegangen; Philippeville und Avesnes wurden zu Vereinigungspunkten gegeben. Der Prinz Hieronymus, der General Morand und die übrigen Generale haben daselbst schon einen Theil der Armee gesammelt, der Marschall Grouchy führt seine Bewegung mit dem Corps des rechten Flügels an der Ober-Sambre aus.

Der Verlust des Feindes muß sehr groß gewesen seyn, nach den Fahnen zu urtheilen, die wir ihm angenommen haben, und nach den rückgängigen Schritten, die er gemacht hatte. Unser Verlust läßt sich nicht eher berechnen, als bis sich die Truppen wieder gesammelt haben. Bevor die Unordnung ausbrach, hatten wir schon beträchtlichen Verlust erlitten, besonders an Cavallerie, die so unglücklich und doch so tapfer engagirt war. Trotz diesem Verluste hat diese muthvolle Cavallerie dennoch standhaft diese Position behauptet, welche sie den Engländern entwunden hatte, und hat sie nur dann verlassen, als der Tumult und die Unordnung des Schlachtfeldes sie dazu zwangen. Inmitten der Nacht und der Hindernisse, welche die Straße versperrten, konnte sie selbst ihre Organisation nicht mehr behaupten.

Die Artillerie hat sich, wie gewöhnlich, mit Ruhm bedeckt. Die Wagen des Hauptquartiers waren in ihrer gewöhnlichen Stellung geblieben, da man keine rückgängige Bewegung für nöthig erachtet hatte. Im Laufe der Nacht sind sie in die Hände des Feindes gefallen.

Dieß war der Ausgang der für die Französischen Heere so glorreichen und doch so unglücklichen Schlacht von Mont St. Jean.


Preußischer Bericht.[]

[2]
Schlacht vom 18. Juny.

Mit Tagesanbruch brach die preußische Armee auf; das 3te und das 2te Armeecorps wurden über St. Lambert hinaus in Marsch gesetzt, wo sie sich in dem Walde vor Frichemont verdeckt aufstellen sollten, um im günstigsten Augenblicke in des Feindes Rücken vorzubrechen. Das 1ste Armeecorps erhielt seine Richtung über Ohain in des Feindes rechte Flanke; das 3te Armeecorps sollte zur Unterstützung langsam folgen. Um 10 Uhr Vormittags begann die Schlacht. Die brittische Armee stand auf den Höhen von Mont-Saint-Jean, die französische auf die Höhen vorwärts Planchenoit; die englische Armee war gegen 80,000 Mann stark, die feindliche zählte über 130,000. -- Es dauerte nicht lange, so war die Schlacht allgemein auf die ganzen Linie. Napoleon schien die Absicht zu haben, den englischen linken Flügel und das Centrum zu werfen, und so die Trennung der englischen von der preußischen Armee, zu vollenden. Er hatte deswegen den größten Theil seiner Reserven im Centrum gegen seinen rechten Flügel aufgestellt, und bestürmte hier die Engländer mit unglaublicher Heftigkeit. Die brittische Armee focht unübertrefflich, an der Tapferkeit der Schotten scheiterten die wiederholten Angriffe der alten Garden, und bei jedem Zusammentreffen wurde die französische Kavallerie von der englischen geworfen und zerstreuet. Doch Napoleons Uebermacht war zu groß, er rückte fort und fort mit gewaltigen Massen gegen die Engländer, und so standhaft auch diese sich noch immer in ihrer Stellung behaupteten, so mußten so große Anstrengungen doch ihre Grenze endlich erreichen. Es war 4½ Uhr Nachmittags. Das sehr schwierige Defilé von St. Lambert hatte den Marsch der preußischen Colonnen beträchtlich aufgehalten, so, daß vom 4ten Armeecorps erst zwei Brigaden in ihrer verdeckten Aufstellung angekommen waren. Der Augenblick der Entscheidung war eingetreten, und keine Zeit zu verlieren. Die preußischen Feldherren ließen den Augenblick nicht entschlüpfen; sie beschlossen ungesäumt den Angriff mit dem, was zur Hand war, und so brach General Bülow mit zwei Brigaden und einem Corps Kavallerie plötzlich vor, gerade im Rücken des feindlichen rechten Flügels. Der Feind verlor die Besonnenheit nicht. Er wandte auf der Stelle seine Reserven gegen uns, und es begann ein mörderischer Kampf. Das Gefecht stand lange Zeit, und ward mit gleicher Heftigkeit gegen die Engländer fortgesetzt. Ungefähr um sechs Uhr Abends traf die Nachricht ein, daß General Thielmann mit dem 3ten Armeecorps bei Wavre von einem beträchtlichen feindlichen Corps angegriffen sey, und daß man sich bereits um den Besitz der Stadt schlage. Der Feldmarschall ließ sich jedoch hierdurch nicht erschüttern; vor ihm lag die Entscheidung des Tages, und nicht anderswo; nur ein gleich heftiger mit immer frischen Truppen fortgesetzter Kampf konnte allein den Sieg gewinnen, und wenn hier der Sieg gewonnen ward, so ließ sich jeder Nachtheil bei Wavre leicht verschmerzen. Alle Colonnen blieben demnach im Marsch. Es war 7½ Uhr, und noch stand die Schlacht; das ganze vierte Armeecorps und ein Theil des Zweiten unter dem General Pirch waren nach und nach angekommen. Die Franzosen fochten wie Verzweifelte; allmählig bemerkte man jedoch schon Unsicherheit in ihren Bewegungen und sah, wie mehreres Geschütz abgefahren ward. In diesem Augenblick erschienen die ersten Colonnen des Armeecorps von Ziethen auf ihrem Angriffspunkte beim Dorf Smouhen in des Feindes rechter Flanke, und schritten auch sogleich frisch ans Werk. Jetzt war's um den Feind geschehen. Von 3 Seiten ward sein rechter Flügel bestürmt; er wich; im Sturmschritt und unter Trommelschlag ging's von allen Seiten auf ihn ein, indem zugleich die ganze brittische Linie sich vorwärts in Bewegung setzte. Einen besonders schönen Anblick gewährte die Angriffsseite des preußischen Heeres. Das Terrain war hier terrassenartig gebildet, so daß mehrere Stufen Geschützfeuer übereinander entwickelt werden konnten, zwischen denen die Truppen brigadenweis in der schönsten Ordnung in die Ebene hinabstiegen, während aus dem hinter auf der Höhe liegenden Walde immer neue Massen sich entfalteten. Mit dem Rückzuge des Feindes ging es noch so lange erträglich, bis das Dorf Planchenoit in seinem Rücken, das die Garden vertheidigten, nach mehreren abgeschlagenen Angriffen und vielem Blutvergießen endlich mit Sturm genommen war. Nun wurde aus dem Rückzuge eine Flucht, die bald das ganze französische Heer ergriff, und immer wilder und wilder alles mit sich fortriß. Es war 9½ Uhr. Der Feldmarschall versammelte jetzt die höhern Offiziere und befahl, daß der letzte Hauch von Mensch und Pferd zur Verfolgung aufgeboten werden sollte. Die Spitze der Armee beschleunigte ihre Schritte. Rastlos verfolgt gerieth das französische Heer bald in eine völlige Auflösung. Die Chaussee sah wie ein großer Schiffbruch aus. Sie war mit unzähligen Geschützen, Pulverwagen, Fahrzeugen, Gewehren und Trümmern aller Art wie besäet, aus mehr als neun Bivouaks wurden diejenigen, die sich eine Ruhe hatten gönnen wollen, und keine so schnelle Verfolgung erwartet hatten, vertrieben; in einigen Dörfern versuchten sie zu widerstehen, doch so wie sie die Trommeln und Flügelhörner hörten, flohen sie, oder warfen sich in die Häuser, wo sie niedergemacht oder gefangen wurden. Der Mond schien hell und begünstigte ungemein die Verfolgung. Der ganze Marsch war ein stetes Aufstöbern des Feindes in den Dörfern und Getreidefeldern. In Genappe hatte sich der Feind mit Kanonen, umgeworfenen Munitionswagen und Fahrzeugen verbarrikadirt; als wir uns näherten, hörten wir plötzlich ein Lärmen und Fahnen im Orte, und erhielten zugleich vom Eingange her ein starkes Gewehrfeuer. Einige Kanonenschüsse, ein Hurrah, und die Stadt war unser. Hier ward unter vielen andern Equipagen Napoleons Wagen genommen, den er so eben erst verlassen, um sich zu Pferde zu werfen, und in welchem er in der Eil seinen Degen zurück gelassen, und beim Herausspringen seinen Hut eingebüßt hatte. So ging es bis zum Anbruch des Tages rastlos fort. Im wildesten Durcheinander haben kaum 40,000 Mann, als Rest der ganzen Armee, zum Theil ohne Gewehre sich durch Charleroi gerettet mit nur sieben und zwanzig Geschützen seiner ganzen zahlreichen Artillerie. Bis weit hinter seine Festungen ist der Feind geflohen, der einzige Schutz seiner Grenzen, die jetzt unaufhaltsam von unsern Armeen überschritten worden. Um fünf Uhr Nachmittags hatte Napoleon einen Courier nach Paris vom Schlachtfelde mit der Nachricht abgefertigt, daß der Sieg nicht mehr zweifelhaft sey; einige Stunden später hatte er keine Armee mehr. Eine genaue Kenntniß des feindlichen Verlustes hat man noch nicht; es ist genug, wenn man weiß, daß zwei Drittel der Armee erschlagen, verwundet oder gefangen worden, unter andern die Generale Mouton, Duhesme und Compans, und daß bis jetzt schon gegen dreihundert Geschütze und über fünfhundert Pulverwagen in unsern Händen sind. Selten ist solch ein vollkommener Sieg erfochten worden, und beispiellos gewiß ist es, daß eine Armee den zweiten Tag nach einer verlornen Schlacht einen solchen Kampf unternommen und so glänzend bestanden hat. Ehre dem Heere, in welchem solche Standhaftigkeit und so frommer Muth sich darthun! Im Mittelpunkte der französischen Stellung, ganz auf der Höhe liegt eine Meierei, la Belle Alliance genannt; wie ein Fanal (Leuchtthurm) rings umher sichtbar war der Marsch aller preußischen Colonnen dorthin gerichtet; auf dieser Stelle befand sich Napoleon während der Schlacht; von hier aus gab er seine Befehle, von hier aus wollte er den Sieg erringen, und hier entschied sich seine Niederlage; hier endlich trafen in der Dunkelheit durch eine anmuthige Gunst des Zufalls der Feldmarschall und Lord Wellington zusammen, und begrüßten sich gegenseitig als Sieger. Zum Andenken des zwischen der brittischen und preußischen Nation jetzt bestehenden, von der Natur schon gebotenen Bündnisses, der Vereinigung der beiden Armeen, und der wechselseitigen Zutraulichkeit der beiden Feldherren, befahl der Feldmarschall, daß diese Schlacht die Schlacht von Belle Alliance genannt werden sollte. Hauptquartier, Merbes-le-Chateau, den 20. Juni 1815.

Auf Befehl des Feldmarschall Fürsten Blücher.
Der General, Graf von Gneisenau.
SceneSchöneBund578

Der schöne Bund 18ten Junij 1815.

Auszug aus den Amtsberichten von dem braunschweigischen Truppencorps.[]

[3]
Laeken, 19. Juny.

Am 18. wurde die Armee plötzlich angegriffen. Das braunschweigische Corps stand in der dritten Linie, nach zwei Stunden rückte es in die erste, und stellte sich an den Abhang einer Anhöhe, wo englische und hannöverische Artillerie stand, und mit der feindlichen Kugeln wechselte; wenige schlugen in die Bataillone. Die Artillerie ward wiederholt von Kavallerie angegriffen, aber mit dem besten Erfolg vertheidigt; besonders bedeutend war der Verlust, welcher in 4 oder 5 Cuirassierregimentern angerichtet wurde, welche eben einhauen wollten. Der Herzog von Wellington kam nun selbst zu dem Corps, hielt längere Zeit bei ihm, und befahlt die Anhöhe zu besetzen. Es geschah; das feindlicher Feuer riß aber schnell hinter einander ganze Rotten weg, und die Kavallerie-Angriffe wurden mit reitender Artillerie unterstützt. Man mußte in die alte Stellung zurückgehen. Ein zweiter Versuch, sich auf der Anhöhe zu halten, hatte gleichen Erfolg; die alte Stellung ward dagegen behauptet, obgleich die Artillerie fast gänzlich demontirt war. Gegen 9 Uhr wurde durch die Verbindung mit dem preußischen Armeecorps der vollständigste Sieg erfochten. 100 Kanonen und 15,000 Gefangene waren die Resultate desselben. Der Feind zog sich überall zurück.


Der Tag von Planchenoit. (18. Juni 1815.)[]

[4]
Planchenoit, dieses Dorf auf dem halben Wege von Frischermont nach belle Alliance, diente bekanntlich am 18. Juni den Buonapartisten zum Hauptrückhaltspunkt. Es lag hinter ihrem rechten Flügel. Dicht vor dem Dorfe zieht sich ein tiefes Defilee hin, dessen jenseitiger Rand stark mit Volk und Geschütz besetzt war. Hinter dem Dorfe erhebt sich eine Anhöhe. Auch diese war mit Geschütz besetzt und schoß über das Dorf hinweg auf die andringenden Preußen vom Bülowschen und Pirchschen (4ten und 2ten) Armeecorps. Der Angriff auf das genannte Defilee, welches man wie einen tiefen, trockenen Festungsgraben betrachten kann, kostete den Preußen mancher tapfern Mann. Besonders verlor das 1te schlesische Infanterieregiment hier viele Leute, und fast die sämmtlichen Offiziere wurden verwundet oder getödtet; dennoch hielt es unerschütterlich Stand. Zwei Granaten allein rissen im 1ten Bataillon 36 Mann hinweg. Als das Feuer eben am heftigsten wüthete und die preußischen Schützen mit den französischen öfters auf Bajonettstich an einander geriethen, sprengte Fürst Blücher mit seinem Gefolge heran, hielt im dichten Kugelregen eine Weile still, beschaute die Gegend, belobte das Bataillon, welches damals nur noch von einem gesund gebliebenen Lieutenant commandirt wurde und sagte, ehe er weiter ritt: "Nun, ich kenne euch. Ihr werdet mir diesen wichtigen Posten schon behaupten. Habt nur Geduld. Es wird sich bald ändern. Wir wollen uns heute die Franzosen einmal von hinter besehen!" -- Als er abgeritten war, rief Obrist Lettew, der tapfere Befehlshaber des Regiments (es ist während des Krieges, sagt man dreimal neu errichtet worden), den Seinen zu, die vor Hunger und Ermüdung fast erlagen: "Habt ihr wohl gesehen, wie blaß und abgemattet der Vater aussah? Ihr denkt wohl manchmal, daß ihr allein dran müßt. Seht! der Alte schenkt sich selbst auch nichts und schläft auch nicht auf Rosen."

Nachdem vom Bülowschen Armeecorps, welches am 16. in drückender Hitze einen so überschwenglichen Eilmarsch gemacht hatte, daß viele todt, noch mehrere gänzlich erschöpft unterwegs liegen geblieben waren, mehrere Brigaden nach und nach auf dem blutigen Felde vor Planchenoit angelangt und auch die Kampfgenossen vom 2ten (Pirchschen) Armeecorps eingetroffen waren, konnte ein umfassender und entscheidender Angriff auf die französischen Garden hinter dem bösen Defileen gemacht werden. Von vorn und von zwei Seiten stürzten die preußischen Schlachthaufen plötzlich und zu gleicher Zeit so rasch auf sie ein, daß unter andern das ganze 5te westphälische Landwehrinfanterieregiment (vom 2ten Armeecorps), das am 16. in St. Amand gekämpft hatte, mit Mann und Pferd in das Defilee Kopf über Kopfunter hinabstürzte; aber dieser allgemeine und nachdrückliche Anfall entschied. Die Franzosen verloren so gänzlich den Muth, daß man die Gewehre mancher Compagnien, die eben hatten ausruhen wollen, noch in Haufen zusammen gestellt fand. Die Hauptleute Avenarius und Kawatschinsky von diesem westphälischen Regimente waren die ersten, welche von zwei Seiten in das Dorf eindrangen. Die Batterie auf der Anhöhe hinter dem Dorfe hatte der vortreffliche Artillerie-Major Magenhöfer bereits demontirt und zum Schweigen gebracht. Nur ein einziger französischer Artillerist hielt noch bis auf den letzten Augenblick unerschrocken aus und feuerte nach besten Kräften. -- Als man bis jenseits des Dorfes hindurch gedrungen war, sah man, wie die französischen Massen sich in Unordnung und ungewissen Wogen zusammen schoben, und es war nichts mehr zu wünschen, als daß jetzo ein kräftiger Reiterangriff das wankende Gebäude zersprengen und gänzlich über den Haufen werfen möchte. Der Hauptmann Kawatschinsky trug diesen Wunsch dem General Gneisenau, der sich eben in der Nähe befand, vor und dieser entgegnete: "Sie haben Recht. Es ist auch schon alles verordnet!" -- Und siehe! jetzt erfolgte, unter dem Befehl des tapfern Prinzen Wilhelm von Preußen, ein Angriff mit der Reservereiterei, so heftig, wie man ihn wohl selten gesehen hat, und so entscheidend, wie gleichfalls wohl selten einer gefunden worden ist. Mit tausendstimmigem Hurrah, mit einem Donner der Hufe, daß davon die Erde weit umher erbebte, mit einem Waffengeklirr, daß dem Feinde das Herz schon im voraus erstarrte, setzte die gewaltige Reitermasse mit Lanzen und Säbeln dergestalt in das französische Gewühl hinein, daß alles über einander geworfen und sogleich in eine Flucht gejagt wurde, welche fast beispiellos zu nennen ist: denn viele preußische Regimenter kamen seit diesem Tage bis Paris nicht wieder dazu, auch nur ein Gewehr abzuschießen. Das Franzosenheer war, wie durch einen Zauberschlag verschwunden.

Mancher gänzlich abgemattete Krieger des preußischen Heeres wünschte nun wohl, einige Stunden Ruhe und Erquickung zu genießen; auch hatte Buonaparte in Gemappe gemeint, wie nachmals Gefangene aussagten, "die Preußen würden die Nacht wohl fest liegen nach so ungeheuren und unglaublichen Anstrengungen." Deshalb hatte er denen, welche um ihn waren, Ruhe gestattet, die Pferde abschirren und keine weitere Vorsichtigkeitsmaßregeln treffen lassen. Er sollte sich bald nachher entsetzlich getäuscht sehen. Denn bei den Preußen langte vom alten, rastlosen Blücher der von Bataillon zu Bataillon fliegende Befehl an, zu verfolgen bis zum letzten Hauch von Mann und Pferd. So wurden nun die ausruhenden Franzosen allenthalben unversehens überfallen und die Verwirrung, Flucht, Zerstreuung, Muthlosigkeit vollendet. Das 15te schlesische Linienregiment (das Bülowsche) hatte, von Verfolgungslust wie in einen Taumel hingerissen, sich von den umher laufenden, zahlreichen Franzosenpferden zum Theil beritten gemacht und flog zu allererst in Gemappes hinein, wo es fast den Korsen in Person erwischt hätte, aber doch, obgleich dieses Höchste nicht gelang, eine ungeheure Beute an seinem Gepäck machte.


Le Mémorial de Sainte-Hélène.[]

[5]

Dienstag, den 18ten. (Juni 1816)

Erinnerungen an Waterloo.

Neopolem.

Heute war der Jahrestag der Schlacht von Waterloo; einer von uns erinnerte daran, was auf den Kaiser einen lebhaften Eindruck machte. "Unbegreiflicher Tag!" rief er mit schmerzhaftem Gefühl... „Ein Verein unerhörter Widerwärtigkeiten! ... Grouchy! ... Ney! ... d'Erlon! ... War Verrath dabei? War es nur Unglück! Ach, armes Frankreich!" Er legte die Hand über die Augen. „Doch war alles geschehen, was von Geschicklichkeit abhängt! Alles schlug fehl, erst nachdem alles gelungen war! ..."

In einem andern Augenblick, als von demselben Gegenstand die Rede war, sagte er: „Seltsamer Feldzug, wo in wenigen Tagen, die noch keine Woche ausmachten, mit der gesicherte Triumph Frankreichs und die Feststellung seines Schicksals aus der Hand fiel.

„Ohne den Uebertritt eines Verräthers (des Generals Bourmont), vernichtete ich den Feind gleich bei Eröffnung des Feldzugs.

„Ich zerschmetterte ihn bei Ligni, wenn mein linker Flügel seine Pflicht gethan hätte.

„Ich zerschmetterte ihn noch bei Waterloo, wenn mein rechter Flügel nicht Fehler begangen hätte.

„..... Seltsame Niederlage, wo, trotz der furchtbarsten Catastrophe, der Ruhm des besiegten nichts gelitten, und jener des Siegers nichts gewonnen hat. Der Ruf des einen wird sein Unglück überleben; der Ruf des andern wird vielleicht in seinem Triumph begraben werden."


Quellen.[]

  1. Politisches Journal nebst Anzeige von gelehrten und andern Sachen. Jahrgang 1815.
  2. Kriegsbibliothek enthaltend die Geschichte der Befreiungskriege in Spanien, Portugal, Rußland, Teutschland, Italien, Holland, den Niederlanden und in Frankreich, von Jahr 1808 bis 1815. Fünfter und letzter Band. Der Krieg in Italien in den Jahren 1813, 1814 und 1815. Napoleons Wiedererscheinung in Frankreich und der Krieg in den Niederlanden und in Frankreich im Jahr 1815. Leipzig, 1817 in der Baumgärtnerschen Buchhandlung.
  3. x
  4. Die Ameise oder Bemerkungen, Charakterzüge und Anekdoten, auch Schlachtberichte vom Kriegsschauplatze im Jahr 1812 bis 15. Als Fortsetzung der Sammlung von Anekdoten und Charakterzügen auch Relationen von Schlachten und Gefechten aus den merkwürdigen Kriegen in Süd und Nordteutschland. Herausgegeben von Ludwig Hußell. Erste Sammlung. Leipzig 1814, in der Baumgärtnerschen Buchhandlung.
  5. Denkwürdigkeiten von Sanct-Helena, oder Tagebuch, in welchem alles, was Napoleon in einem Zeitraume von achtzehn Monaten gesprochen und gethan hat, Tag für Tag aufgezeichnet ist. Von dem Grafen von Las Cases. Stuttgart und Tübingen in der J. G. Gotta'schen Buchhandlung. 1823.
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