Von Bastille bis Waterloo. Wiki
Advertisement

Rheinische Landesbibliothek Koblenz.


Mannheim.[]

[1]
Mannheim, vormals die Hauptstadt in der untern Pfalz, jetzt die Hauptstadt des Großherzogthums Baden, liegt am östlichen Ufer des Rheins, wo der Neckar hineinfällt. Churfürst Friedrich IV. fing 1606 an, aus dem alten Dorf und Schloß Mannheim eine Stadt zu erbauen, und bevölkerte sie mit Niederländern, welche wegen Gewissensfreiheit ihr Vaterland verlassen hatten. Zwar wurde 1622 die neue Stadt von den Bayern und 1688 von den Franzosen verwüstet; aber die Churfürsten Johann Wilhelm und Carl Philipp, welcher Letztere 1720 wegen der Religionsstreitigkeiten mit den Reformirten seine Residenz von Heidelberg dahin verlegte, stellte sie wieder her, so daß sie jetzt zu den schönsten Städten Deutschlands gehört. Sie ist ganz offen; vormals war sie mit Wällen und Gräben eingefaßt und durch dreizehn Bollwerke verwahrt, aber durch die Ereignisse des Revolutionskrieges wurden die Festungswerke vernichtet. Unter den Plätzen sind der Markt und der Paradeplatz, und unter den Kirchen die ungemein prächtige Kirche, die den Jesuiten gehörte, und die Schloßcapelle am ausgezeichnetsten. Ferner sind sehenswerth das Kaufhaus, Rathhaus, Zeughaus, die Münze, verschiedne Hospitäler, das Komödienhaus, der botanische Garten, das Observatorium, das Zucht- und Waisenhaus u. s. w. Das Schloß ist groß und prachtvoll und enthält verschiedne kostbare Sammlungen; auch ist daselbst der Versammlungssaal der dasigen Akademie. Die Zahl der Einwohner ist in den letztern Zeiten bis auf 18,000 gesunken. Handel und Fabriken werden zwar sehr begünstigt, wollen dennoch aber nicht besonders gedeihen. In dem Kriege Deutschlands gegen Frankreich zu Anfang der Revolution litt die Stadt durch Belagerung und gegenseitige Besetzung; selbst ein Flügel des Schlosses wurde vernichtet. Statt der ehemaligen Schiffbrücke geht jetzt eine fliegende Brücke über den Rhein.


British Library.



Von Reisende.[]

August Josef Ludwig von Wackerbarth.[]

[2]

[1791]

Wir fanden in Mannheim ganz das Gegentheil von der schönen heitern Luft und von dem reinen lautern Wasser, welches wir von Heidelberg genossen hatten. Schon am Thore der Festung erfüllte unsere Geruchswerkzeuge ein hesslicher Gestank von dem sumpfigen halb wasserlosen Stadtgraben. Die Stadt ist zwar regelmässig erbaut: allein die zu grosse, zu ängstliche Regelmässigkeit ermüdet das Auge. Die Einwohner sahen alle so weiss und fahl aus, wie die schon seit einigen tage in Verwesung übergegangenen Leichen. Das Wasser schmekt hier akkurat so, als wenn man damit vorher einige Todte abgewaschen hätte, und ist in der That noch weit schlechter, als das Leipziger. Die Menschenmenge steigt hier auf etwas über 22000. Allein dies glaubt man wahrlich nicht, wenn man durch die hiesigen Strassen streicht: denn alles ist öde und leer, und nur hie und da sieht man einen Hund laufen, der überdies noch seinen Schwanz zwischen den Beinen trägt, seines eben empfangenen Kostgelds wegen grausam heult, und sich furchtsam umsieht, ob nicht sein Wohlthäter mit dem grossen Stokke noch hinter ihm her komme. Eine Stadt von der Grösse sah ich noch nie so einsam, traurig und wirklich melancholisch.

Mein erster Gang war zum entgegengesezten Thore hinaus, um den Einfluss des Neckars in den Rhein, die beide eine Zeit lang verschieden, dieser grün und jener grau, fortfliessen, zu betrachten. Hier ergriff mich ein heiliger Schauer, als ich an die Zeiten der Caesar und Auguste zurükdachte, als ich die tapfern Römer in den hiesigen Gegenden ihre Lager aufschlagen, Treffen anfangen, Schlachten liefern, Battaillen gewinnen, Siege erringen, Triumphe erfechten, und so weiter, mir vorstellte. Glüklich müssen doch jene Zeiten gewesen seyn, wo meine Freunde, die unbezwinglichen Römer, den schönen Rhein durch ihre Allmachtshand beherrschten. Entnervte Despoten und nichtswürdige Pfaffengesichter liess das Schiksal nachher über diese herrlichen Gegenden gebieten. Aber warum geschah denn wohl dies? -- Vielleicht darum, damit die kommenden Menschengeschlechter ihre errungene Freiheit hier desto glüklicher geniessen möchten. --

Wir besahen die Kunstsachen von Mannheim, die mir in der That weit besser gefielen, als alle die politischen Einrichtungen, deren es hier eine so zahllose Menge giebt. Das Naturalienkabinet ist sehr schön, hat viele sehr seltene Dinge aufzuweisen, und enthält eine Vollständigkeit, die man gewiss nicht allzu oft findet. Als ich es sah, entstand in mit der Wunsch, es nur einige Monate zu Bereicherung meiner Kenntnisse benuzzen zu dürfen.

Eben so vollständig und schön ist die Bildergallerie, die aus neun grossen geräumigen Zimmern besteht und gewiss eine der prächtigsten von ganz Teutschland ist. Sie enthält viele vortrefliche Gemählde und besonders hatten die von Dolce, Raphael, Tintoret und einigen andern für mich den höchsten Reiz. Im Ganzen genommen, glaub ich, übertrift die Mannheimer Bildergallerie die Düsseldorfer bei weitem, so viel Wesens man auch von der lezten macht. Vornehmlich gefiel mir das sehr wohl, dass man hier die Namen der berühmten Meister über jedem Gemählde mit grossen schwarzen Buchstaben auf dem vergoldeten Rande angeschrieben findet, da hingegen der Nichtkenner, der sich zu unterrichten wünscht, bei den Düsseldorfer Gemählden unaufhörlich nach den Namen der Künstler fragen muss, und weil sie selbst der Führer nicht allezeit weiss, oft in den Fall kommt, unbelehrt und unbefriedigt bei einem Gemählde vorbeizumarschiren.

Nur von sehr geringem Werthe ist die Bibliothek, die ebenfalls so, wie die vorigen beiden Sammlungen im kurfürstlichen Schlosse aufbewahrt wird. Sie hat etwa in allem 40,000 Bände. Die Werke Voltaire's gehörten hier unter die Sehenswürdigkeiten. Ich sage gewiss nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass der Herr geheime Justizrath Pütter in Göttingen eine gewiss eben so starke Büchersammlung hat. -- Inzwischen zeigte uns der Herr Bibliothekar, Herr Hofrath Lamey, einen schönen alten aus zwei Bänden bestehenden Bibelabdruk auf Pergament in Folio, der in Paris 15000 Gulden gekostet haben soll. Merkwürdig ist übrigens eine beträchtliche Sammlung von handschriftlichen Briefen von den Zeiten der Reformation her, welche die berühmtesten Leute damaliger Zeit, Erasmus, Melanchton, Luther, Kalvin, Zwingli und viele andere geschrieben haben. Sie sind, nach der Versicherung des Herrn Bibliothekars, noch gar nicht gebraucht, und müssen also dem, welcher jene Geschichte entweder studirt, oder beschreiben will von beträchtlichem Nuzzen seyn, und hier müste er gewis viele Aufklärung finden, die er an andern Orten vergebens suchen möchte. Uebrigens ist diese kleine Bibliothek recht niedlich eingerichtet und wirklich geschmakvoll angeordnet.

Das Antiquitätenkabinet ist seiner seltsamen Figuren wegen immer berühmt genug. Man sieht hier kleine ägyptische, griechische, römische, etrurische, altgermanische, gallische Statuen, allerlei Gefässe, Urnen und andere Geräthe in ziemlicher Anzahl. Die römischen und griechischen übertreffen an Feinheit und gutem Geschmakke alle andern bei weitem. Besonders zeugen die ägyptischen Figuren von wahrer Plumpheit. Es ist grösstentheils alles in Bronze gearbeitet: und man hat diese Sachen hie und da in unterirdischen Gängen, oder Erdschichten wiedergefunden; daher vieles nur noch stükweise vorhanden ist.

Der hiesige Antikensaal ist vielleicht einzig in seiner Art, und dennoch muss ich sagen, dass er mich bei weitem nicht hinlänglich befriedigte: denn meine Erwartungen und Vorstellungen davon waren durch Schriften viel zu hoch gespannt worden. Die Sammlung der schönsten, in Italien noch übrig gebliebenen und dort auf der Stelle genau in Gips gegossenen Statuen ist ganz hübsch und auch ansehnlich genug: allein etwas so ganz ausserordentliches fand ich wirklich nicht. Die Menge der ganzen Figuren ist im Grunde nur klein: denn ihre Anzahl kann sich kaum auf 40 belaufen. Halben Körper findet man hier unterdessen weit mehrere. Unter den ganzen gefiel mir der Laokoon und die Venus von Medicis, unter den halben der Kopf meines Cicero und Alexanders am besten. Jedoch schien der lezte ein wenig zu dik und eben deswegen verunstaltet zu seyn. Diese Gipsabgüsse sind von Rom, Neapel, Florenz, Venedig u. s. w. und haben das Unangenehme. dass der Gips gelb ist, da doch die Figuren zuverlässig weit schöner seyn, wenn sie ganz weiss, wie auf der göttinger Bibliothek, wären. Das Zimmer, worin sie sich befinden, ist auf der Erde, und daher für die jungen Zeichner, die sich bei diesen Kunstwerken üben, ziemlich ungesund, auch hat es noch eine andere Unbequemlichkeit für sie, nemlich, es ist ein wenig dunkel.

Wie sehr fand ich mich aber in meinen Erwartungen betrogen, als ich die hoch berühmte Sternwarte bestieg. Man hatte mir gesagt, sie sey die schönste von Teutschland. Dies kann ich eben nicht sagen, wofern ich nicht gradezu lügen soll. Ich fand die von Leipzig in jeder Rüksicht weit schöner. Mit den Instrumenten verhielt sichs eben so. Ich glaubte hier ganz ausserordentliche Sachen anzutreffen: sah aber nur blos ein mittelmässiges Fernrohr zur Beobachtung der Sterne. So klein das Observatorium von Göttingen auch ist, so fand ich dort wahrlich weit bessere Instrumente, als hier auf dem mannheimer. Wir sahen inzwischen hier oben das alte bigotte, thurmreiche Speier, das sich seitdem in ein freies umgeschaffen hat.

Während meines hiesigen Aufenthalts traf ich auch sogar eine Messe von Mannheim an. Aber ich habe wirklich noch keinen erbärmlichern Jahrmarkt in kleinen Städtchen angetroffen, als die Messe der Hauptstadt von der Pfalz. Verkäufer gabs nur wenige: allein Käufer noch weit weniger. An andern Orten ist sonst an diesen Festen ein grosses Getümmel von Menschen und Vieh: allein hier waren demungeachtet die Gassen und selbst die Marktpläzze öde und leer. Das beste auf derselben war für mich und vermuthlich auch wohl für die ganze Stadt, das schöne gesunde und sehr wohlfeile Obst. Trauben, Aepfel, Birnen und Pflaumen gabs hier in Ueberflusse und noch selten fand ich das Obst so wohlschmekkend, als hier.

Noch ein Gegenstand reizte vorzüglich unsere Aufmerksamkeit, es war das Komödienhaus, das hier gewiss eines der schönsten, sowohl in Ansehung der Bauart, als auch in Rüksicht der darauf handelnden Personen, vom ganzen teutschen heiligen römischen Reiche seyn mag. Das Gebäude ist sehr gross, treflich eingerichtet, und auch recht gut ausmöblirt. Die Akteurs sind die auserlesensten und geschiktesten, die man sich nur denken kann. Beinahe die schlechtesten der hiesigen könnten Direkteurs anderer berühmten Schauspieltruppen vorstellen.

Ich sah hier Richard Löwenherz aufführen, ein Stük, das mit ausserordentlich wohlgefiel und das schönste war, welches ich noch in meinem Leben gesehen hatte. Die Geschichte ist aus den Zeiten der Kreuzzüge genommen. Richard war König von England, gieng ins gelobte Land, oder nach Palästina, um den Muselmännern Jerusalem und überhaupt das ganze Königreich aus den teuflischen Klauen zu reissen, kehrte glüklich und unbeschädigt zurük: allein auf seiner Heimreise ward er schändlicher Weise von einem seiner christlichen nichtswürdigen Mitbrüder, dem Herzoge von Oesterreich, gefangen genommen. Die Befreiung aus diesem Gefängnisse war der Gegenstand des Schauspiels.

Weil dies Stük grade auf die Lage des Königs von Frankreich, Ludwigs XVI, genau passte, es überdies schön ausgearbeitet war, und vortreflich aufgeführt wurde; so war das Heer der Emigranten in dieser Komödien grösser, als ich es noch jemals in Teutschland beisammen erblikt hatte. Man wird sich leicht einen Begriff machen können, wenn ich sage, dass wir wahrlich schon Nachmittags um halb drei Uhr in das Komödienhaus gehen mussten, um einen Plaz zu erhalten. Dies ist selbst in London und Paris etwas unerhörtes, und dennoch geschah es in Mannheim. Allein ich habe auch noch nirgends einen grössern Tumult in einer Komödie mitangesehen, als hier. Als der König aus seiner Gefangenschaft erlöst wurde, so entstand ein Geschrei, Lermen und Vivatrufen, dass es beinahe schien, als wenn der jüngste Tag gekommen wäre. Das Brausen und Schreien: vive le Roi! war in der That unbändig. Kaum kann der Schiffbruch eines grossen Kriegsschiffs so viel Fürchterliches und Schrekliches haben, wenn seine Kanonen zusammenstürzen, oder von selbst losgehen, als dieses Stük bei der Befreiung des Königs. -- Herr Ifland stellte einen Halbgott in den mitlern Jahrhunderten vor, und spielte seine Rolle wirklich unnachahmlich schön.

Freudetrunken giengen wir aus diesem unvergleichlichen Schauspiele weg! ich mit meinem Freunde schlichen allein, einige unserer Bekannten aber lustwandelten mit ein Paar hübschen Mädchen am Arme nach Haus. Unser Gasthaus war im Hof von Zweibrüken. Wir wurden hier sehr gut behandelt, und, was uns am besten gefiel, gar nicht geprellt, welches jezt für uns doch beinahe etwas ganz gewöhnliches geworden war.

Noch muss ich der Soldaten erwähnen. Diese machen hier eine ganz besondere Menschenrace von Teutschland aus. Sie sind von Kopf bis auf die Beine halb türkisch und halb englisch, halb ungrisch und halb schwedisch, halb französisch und halb polnisch gekleidet. Wer kann sich wohl ein noch grösseres Quodlibet, oder eine noch grössere Mannigfaltigkeit, denken? Diese Kleidung hat der Herr Kurfürst von Pfalz-Baiern einem englischen Generale zu verdanken, den er ungefähr vor zwanzig Jahren in seine Dienste aufnahm, und der, wo ich nicht irre, Thomson heisst. Von diesem ganzen Aufzuge schien mir nichts so sonderbar, als das Kasket auf dem Kopfe, von Leder und einem ungeheuern Pferdeschwanze. Vor ein Paar Jahrhunderten war diese Sache wohl noch gewöhnlich: allein seitdem haben die Kriegsknechte sowohl, als andere ehrliche Männer angefangen, einen Hut auf dem Haupte zu tragen. Und warum affektirt man grade hier in der Pfalz eine so halb türkische Alterthumssache?

Mit der Gelehrsamkeit verhält sichs in Mannheim ganz artig. Man hat hier eine Akademie der Wissenschaften, die 1763 gestiftet wurde, 12 ordentliche und 36 auswärtige Mitglieder, nebst ein Paar Duzzend Ehrenmitgliedern zählt. Der Gelehrten-Republik hat sie inzwischen noch keine sehr wesentlichen Dienste geleistet. Sie versammelt sich wöchentlich einmal und einige Bände ihrer Vorlesungen sind zwar bereits gedrukt erschienen, doch haben sie eben noch keine gar grossen Früchte getragen. Die besten Abhandlungen darin sind von auswärtigen Männern. -- Ich fragte einige Leute, wie es mit der Litteratur hier beschaffen sey? "Ach," sagten sie mit einem sehr tiefen Herzensseufzer, "damit ist es bei uns äusserst schlecht beschaffen. Wir wissen beinahe gar nicht, was ein Gelehrter ist. Will auch einer sich wohl erkühnen, aufzutreten, so drükt ihn der allmächtige Despotismus der Bonzengesichter augenbliklich wieder nieder." Ich verlor die Lust weiter zu fragen, und begnügte mich vollkommen mit der erhaltenen Antwort. -- Ausser dem Herrn Ifland und dem Herrn von Klein, der sich durch seine Lebensbeschreibungen der grossen Teutschen rühmlichst bekannt gemacht hat, wüsste ich auch in der That nicht, ob nur jemand einige Aufmerksamkeit verdiente.

Wir verliessen Mannheim mit seinem zahllosen Heere von Emigranten und giengen nun zum erstenmale über die 1000 Schuh lange Brüke des grünen Rheins. Noch nie bin ich über eine Brüke mit so viel heiliger Ehrfurcht gegangen, als über diese. Ich weiss nicht, ob das Andenken an jene grossen Männer der Vorzeit, welche vor mir hinüber gegangen sind, mir dies Schauerliche einflösste, oder was sonst die Ursache davon gewesen seyn mag. Genug, ich war innig gerührt, fühlte mich selig, und glaubte schon mit meinen unüberwindlichen Römern durch diese Gefilde zu wallen, unterdessen ich nur meinen Freund an der Seite hatte.


Heinrich Clauren.[]

[3]

[1791]

Unsere Augen waren gesättigt, itzt kam der Magen an die Reihe, und dann bekam der Rücken seine Ladung. Unser Weg, den wir itzt betraten, hatte die angenehmsten Reise: eine herrliche Chaussee, besetzt mit einer drey Stunden langen Pappel- und Lindenallee führt durch Felder und Gärten, und rechts und links wetteiferten die Aussichten, sich dem Auge im entzückendsten Lichte darzustellen: links thürmte sich in tiefer Entfernung ein riesenmässiges Gebürge auf, das sich weiter vorwärts bis gegen die französische Gränze, 10 Stunden weit von unserm Standpunkt, erstreckte; der alte Dom von Speyer prangte ehrwürdig mit seinen gothischen Thürmen am Fusse dieser Gebürge, und weiter näher wechselten frische Laubwälder mit Weinbergen und Gärten: rechts begann die gesegnete Bergstrasse sich gen Weinheim zu ziehn, das Neckargebürge ward kleiner, und der Strom durchwässerte die fruchtbarste Aue, an dessen Ufer Städtchen bey Städtchen und Dorf bey Dorf lag. Auf dem Wege selbst begegneten und mehr als 40 bis 50 Franzosen, Herren und Damen, zu Pferd, zu Fuss und zu Wagen, die alle diesen Nachmittag in Schwetzingen geniessen wollten, und das Wetter war so schön, dass, wenn ich die labende Kühle der schattichten Pappeln nicht gehabt hätte, ich die brennende Sonnenhitze nicht hätte aushalten können, und bis auf den Abend hätte still liegen müssen. Wir nahmen uns auch Zeit, und es schlug schon 5 Uhr, als man uns im Thore zu Mannheim unsere Kundschaft abfragte. Wir passirten die weitläuftigen Festungswerke, und traten nun in die so nett und regulär gebaute Stadt selbst ein. Im Pfälzer Hof, dem Prinz Carl und dem Bock wies man uns ab, alle Stuben, hiess es, wären besetzt! So impertinent hatte ich noch keine Aubergen gefunden; wenn man uns anfangs gleich ein schlechtes Zimmer eingeräumt hatte, so nahm man uns doch wenigstens auf. Man wies uns in den König von England, auch da konnten wir nicht unterkommen: zum ersten male ward ich itzt böse auf meinen Bündel, denn auf diesen schob ich die Schuld allein. Ich bat die Madame im Könige von England um Erlaubniss, mein Felleisen einige Augenblicke hier niederzulassen, B...g blieb bey demselben, und ich lief nun in 17 bis 18 Aubergen und Gasthöfe herum, um ein Dach zu finden: aber itzt sah ich, dass mein Bündel ganz schuldlos war: die lieben Herren Franzosen und der Anfang der Messe, die eben itzt einfiel, waren Ursache, dass alle Zimmer jedes Hauses vom Keller bis zur Esse vermiethet waren, und trostlos gieng ich in unsern König zurück, wo endlich Madame sich bewegen liess, und ein elendes Hofloch einzuräumen: Wer war froher als wir; aber beyläufig gesagt, war es Majestätsverbrechen wider den Thron Grossbritanniens, diess Gasthaus König von England zu betiteln.

Den 2. October. Nachdem ich die Strassen ein wenig durchlaufen hatte, um mir eine richtige Idee von dem ganzen Plan derselben zu fixiren, besuchte ich die Wachparade, den Sammelplatz der hiesigen französischen und deutschen vornehmen Welt, und besah denn noch die vornehmsten Plätze der Stadt. Es ist falsch, wenn man sagt, dass man hier von allen Strassen aus das Schloss zur Pointe hätte. Die Stadt ist beynahe wie ein aufgeschlagener Fächer gebauet, unten an dem schmalern Theile derselben steht das lange weit ausgedähnte Schloss, auf das alle Strassen, die wir die Stäbe des Fächers in die Länge gebaut sind, zwar zulaufen, aus den Queerstrassen aber, die mit unter sehr beträchtlich sind, wie z. B. die Kettenallee, und mehrere andere, kann man nie auf das Schloss sehn, sonst müsste dasselbe um die ganze Stadt herum gebaut seyn. Auch finde ich die Behauptung, dass das Auge am Ende der regulären Strassen müde würde, nicht bestätigt: da jedes Haus in Rücksicht der Bauart, der Grösse und des Anstrichs von dem andern unterschieden ist, so besteht das verschriene Einerley nur in der Geradheit der Strassen, und darinn, dass kein Haus weiter vorgebauet ist, als das andere, und kein Erker die Aussicht des benachbarten Hauses benehmen darf: folglich können nur Liebhaber von dunkeln, engen und krummen Gassen, und Freunde von Winkeln und schmutzigen Löchern wider den Plan der Mannheimer Anlage etwas einzuwenden haben. Ein grosser Beweis, dass man es nie allen Menschen recht machen kann.

Die Promenade um die Stadt herum auf dem Wällen ist reizend; auf der innern Seite kann man von Zeit zu Zeit in die langen Strassen weit hineinsehn, und auf der äussern präsentiren sich die schönen Environs von Mannheim unvergleichlich; ich stand eben auf einem kühlen Plätzchen und schaute mich um, und siehe, da kam der alte Vater Rhein von den Speierischen Gebürgen her, durch ein himmlisch schönes Thal in ruhiger Majestät geflossen:

Am Rhein, am Rhein stand ich, denkt deutsch Zecher,
. . . .
* * *

Nach Tische wollten wir in die Comödie gehen; ungeachtet sie erst um 6 Uhr angieng, eilten wir schon um 4 Uhr dahin, um einen guten Platz zu bekommen, nichts destoweniger aber mussten wir dennoch umkehren. Richard Löwenherz ward aufgeführt, und wegen der Königs-Scene waren über 100 Franzosen von Worms herüber geritten, die Einheimischen fehlten auch nicht, und so war es um 4 Uhr schon so voll, dass mehr als 60 Personen umwenden mussten. Ich entschädigte mich für diesen Verlust in S....s Garten an dessen vorzüglich guten und vollen Weintrauben sehr reichlich, und gieng dann auf ein gegen über liegendes Weinhaus, wo wacker gedreht wurde. Diese Häuser sind weit eleganter als die unsrigen eingerichtet, parterre ist ein gut getäfelter Saal, an dessen Wänden in der Höhe Gallerien für die Zuschauer herumlaufen, auf der einen Seite ist ein Spielzimmer, ungefähr nach der Manier des Leipziger grossen Ballsaals; zween Kronleuchter und eine Menge Wandleuchter geben eine fürstliche Beleuchtung, eine niedliche Janitscharenmusik hebt das Lustige des Drehers noch mehr, und die Mädchen, -- wer sollte den Mannheimerinnen nicht ihres Tanzes wegen ein Compliment machen? Nirgends traf ich mehr Gracie und Anstand im Tanze, als hier, und ob es gleich Nähtermädchen und Consortinnen sind, so affectiren sie doch so ein bescheidenes Gesichtchen, dass man glauben sollte, Lucretie müsste eine gebohrne Mannheimerinn gewesen seyn; Dem Aeussern nach hätte ich die guten Kinderchen wenigstens für Hofrathstöchter angesehen, und manche mochte sich wohl auch in ihrem Hirnlein in gleichem Rang mit jenen setzen, eine solche verschwenderische Pracht flimmert um die Figuren herum; wenn man sich aber in eine Unterhaltung mit ihnen einliess, so hätte man sie gern noch ein halb Jahr in die Wirzburger Industrieschulen geschickt, um dann vielleicht ein gescheutes Wort aus ihrem holden immer lächelnden Munde zu hören. Selbst als Fremder mochte ich nicht gern in die Colonne treten, und ein Bekannter von mir tröstete mich auf morgen, wo Vaux-hall auf dem so genannten Schlössel war, das nur für rechtliche Leute offen steht.

Den 3ten October. Die Jesuiterkirche ist ein grosses majestätisches Gebäude, und unstreitig die schönste Kirche in Mannheim, der marmorne Altar ist in einem edlen Style gearbeitet, und die übrigen Statüen machen die Wahl des Vorzugs schwer, weil jede in ihrer Art ein Meisterstück der Kunst ist.

Das physicalische Cabinet hat unter andern sehr guten aber gemeinen Sachen einen Blitzfänger, einen Windmesser u. dgl. m., doch hätte ich es mit grösser vorgestellt, auch wird itzt nicht so viel mehr dazu angekauft, als sonst geschehen seyn mag.

Die Zimmer des Schlosses sind altfränkisch und höchst schlecht meublirt; ich hatte mir von dem Aeussern desselben so viel versprochen, fand mich aber bis zum Aerger getäuscht. Die Churfürstin residirt blos die Winterszeit über hier, aber unmöglich kann es ihr auch da gefallen.

In der Bibliothek hofft ich durch den Bibliothekar, Herrn Hofrath Lamey, recht viel schönes zu finden, zum Unglück aber war dieser nicht da, sondern ein Aufwärter, der entweder noch in der Einrichtung unbewandert war, oder die Bibliothek en bagatelle traktirte. Ich höre Leute der Art lieber zu viel als zu wenig schwatzen, und verzeihe ihnen gern, wenn sie die Gränzen des Werths der Sache, die sie unter den Händen haben, zuweilen über die Gebühr der Wahrheit hinausdähnen, als wenn man jedes Wort aus ihnen erpressen muss. Die Anzahl der Bände beläuft sich über 40000; ich fragte nach Originalbriefen von Luther und Melanchthon, nach vielen Suchen fand er sie, das übrige was er uns zeigte, war ein sehr gut geschriebener Virgil, ein Messbuch aus dem 12ten Saec. u. dgl. m.

Das geheime Archiv, das hier einige alte Documente und Urkunden enthält, konnten wir nicht sehen; der Herr geheime Rath von Stengel hat die Oberaufsicht über dasselbe, und nur durch besondere Empfehlungen, kann man die Erlaubniss, es zu besuchen, erhalten.

Desto offener standen die Thüren zu der herrlichen Bildergallerie; der Mund unsers Führers aber war verschlossen, wie ein Uriasbrief, und sein Zunge so faul, wie Bileams Wunderthier: übrigens schien der Mensch hungerig zu seyn, denn er wäre lieber mit uns gerade durchgelaufen, hätte sich sein Douceur geben lassen, und sich dann zu Tische gesetzt: ich schein aber seine Eilfertigkeit nicht zu bemerken, nahm mir Zeit, und gieng so langsam, als ich mir selbst erlauben konnte, die einzelnen Gemälde durch: die Anzahl derselben beläuft sich auf 1800, und die besten darunter sind unstreitig zwey Köpfe von Tellner: ein altes Mütterchen und ein Knabe hoch in die Achtzig! was je ein fleissiger mühsamer Pinsel vermochte, findet man hier: Erstlich der Ausdruck dieser beyden Köpfe! welche treue Herzensgüte! Spuren einer jugendlichen Shönheit blühen noch in den Furchen des Alters: auf dem Gesichte des Greises lächelt eine muntere Schalkheit, aber heitere Sanftmuth in den Zügen der freundlichen Matrone: der Alte nimmt einen etwas grossen Bart nicht so genau, aber die liebenswürdige Eitelkeit des Mütterchens sucht immer noch zu gefallen, nicht in modischer Kleidung, sondern in Reinlichkeit und Ordnung: und nun die fleissige Arbeit selbst! Da ist das menschliche Auge zu schwach, alle Forcen und Feinheiten zu entdecken, man muss das Mikroscop nehmen, und nun sieht und bewundert man erst den Meister: die Schweisslöcher, die kleinsten Flecken in der Haut, die Trockenheit der Barthaare, die silberne Farbe derselben, das feuchte Nass in dem trüben Auge, die grössern und kleinern Gesichtsfalten, kurz alles, was nur je die Natur in einen alten Kopf legen kann, ahmte der mühsame Pinsel Tellners meisterhaft nach.

Nach Tische wollten wir die Antikensammlung sehen, die im Lazarethe befindlich seyn soll. Eine Schildwache wies uns in eine Thür linker Hand, wir öffneten sie, und traten mitten in eine Versammlung von Officiers, Unterofficiers und Gemeinen, die in tiefer Stille um einen Tisch herumsassen, an dem eine Staabschirurgus Vorlesungen über die -- Anatomie hielt!! Weil der Hörsaal zum erstenmal eröffnet worden war, so war der Commandant und eine Menge Officiers vom Generalstabe zugegen; man präsentirte uns als Fremden sehr artig ein paar Stühle, wir mussten uns mit in den Zirkel setzen, und eine ganze Stunde bey dem trockensten Vortrage aushalten: so böse ich auch über den Verlust einer so schönen Stunde war, konnte ich mich dennoch zuweilen des Lachens nicht aushalten, wenn ich aufblickte, und die anatomische Antikensammlung um mich herum sitzen sah.

Die Antikensammlung selbst, zu der wir hernach glücklicherweise gelangten, hat verschiedene ächte Originale, gute Figuren und Büsten, aber wenig Grouppen, und da die Sammlung zum öffentlichen Gebrauch bestimmt ist, so, dass jeder hineingehen, die Statüen stellen, und die abzeichnen kann, wie er will, so darf man hier kein wohlgeordnetes Cabinet suchen; hier steht ein Herkules mit dem Gesichte gegen das Fenster, neben ihm die Venus, so, dass ihre ganze Schönheit von jenes groben Keule verdunkelt wird, und Cupido, der sonst treue Begleiter seiner lieben Mutter, steht ganz hinten im Winkel, und macht seinem Nachbar, dem ernsten Cicero, den Kopf warm.

Die Sternwarte, die ich nicht als Kenner, sondern blos als Liebhaber besuchte, liegt sehr zweckmässig, frey und erhaben: der Instrumenten-Apparat ist nicht gross, die vorhandenen aber so fein als theuer. Das Gebäude an uns für sich selbst ist neu und sehr bequem eingerichtet: von der obersten Gallerie sahen wir mittelst eines sehr guten Telescops die Dome von Speyer und Worms: und eine unzählige Menge kleiner und grosser Städte und Dörfer; zu unsern Füssen aber im bunten Menschengewühl die Milau oder das Schlössel, mit dem wir uns jezt näher bekannt machten. Es ist ein so genanntes Schloss, vor dem einige Schritte weit der Rhein vorbeyfliest. Ein grosses Königsschiessen beschäftigte die Neugierde der Gesellschaft so, dass die Musici unwillig wurden, da sie sahen, dass heute wegen des lieben Schiessens nicht viel Verdienst für sie seyn werde, und fortgiengen, meine Hoffnungen, heute hier zu tanzen, begleiteten sie, und ich konnte aus Herzensgrunde singen: "Euch folgen meine Thränen!"

Im Bock soupirte ich an der Table d'hôte: meine beyden Nachbarn waren zwey brave Geistliche: heute war der Tag, und itzt besonders der Abend, auf den ich mich schon lange im voraus gefreuet habe: mehr als hundert Personen, meinem Herzen näher und fern, aber von mir mit gleich warmer Liebe umschlossen, dachten itzt an mich, und ich an sie. Welch eine grosse unsichtbare Zusammenkunft, geheimer, als die geheimste Gesellschaft, und unzertrennlich, ohne verknüpft zu seyn! Ich war die Wärme, die Herzlichkeit selbst, die ganze Welt lag in mir, und ich in der ganzen Welt, und meine herzliche Traulichkeit schuf selbst die neben mir sitzenden Pfaffenseelen weich und theilnehmend. Das ist ein Abend, den mir Gott geschenkt hat, dachte ich, er ist mein, und ich will ihn feyern. Der gewöhnliche Tischwein war für die heutige Opferschaale zu schlecht, Vater Rhein musste seinen besten Zögling, einen wackern Kerl in die dreyssig, geben, mit dem ich innige Verwandschaft schloss. Der erste Römer galt Euch, meine theuersten Eltern, in drey Zügen ward er geleert, kein Tropfen blieb drinnen: im zweyten trank ich auf Euer Wohl, meine Schwestern, und Ihr, meine Brüder, die ihr neben jenen in meinem Herzen den nächsten Rang habt. Es war ein herrlicher Trunk, das Feuer des Weins loderte hell hinüber in das Feuer der Bruderliebe, meine Seele und mein Gewissen waren so rein, wie der Wein: der dritte war Dir mein Eduard, und Euch allen, meine Freunde und Freundinnen gewidmet: die Lippe bebte mir für Entzücken, als sie der Römer berührte, das Glück meines Erdenlebens lag in demselben, und so manche süsse Rückerinnerung umgaukelte den Rand des Bechers: und aus dem 4ten, 5ten und 6ten wurden einzelne, bedeutungsvolle Nippchen gethan, die genau classificirt waren, z. B. Familiennippchen, Herzensnippchen u. dergl. m. Noch war der letzte Tropfen in der Flasche, den trank ich der Freude, der Würze unsers Lebens, drückte meinen Pfaffen die Hand, und gieng in meinen englischen König.


Quellen.[]

  1. Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. Stuttgart bei A. F. Macklot. 1816.
  2. Rheinreise herausgegeben vom Freiherrn v. Wakkerbart. Halberstadt in der Buchhandlung der Grossschen Erben, 1794.
  3. Carls vaterlaendische Reisen in Briefen an Eduard. Leipzig, bey J. S. Heinsius und Sohn. 1793.
Advertisement