Von Bastille bis Waterloo. Wiki
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Departement der Rhonemündungen.[]

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26. Das Departement der Rhonemündungen (Dep. des bouches du Rhone), das diesen Namen von seiner Lage an den Ausflüssen des Rhone hat, ist aus dem westlichen Theile von Nieder-Provence gebildet, liegt am Mittelmeere und hat einen Flächenraum von 108 Qu. Meilen, mit etwa 321,000 Einwohnern.

Dieses Dept. ist jetzt in die drei Gemeinde-Bezirke von Marseille, Aix und Tarascon vertheilt, welche zusammen 108 Gemeinden in 27 Kantonen enthalten.

1) Marseille, die Hauptstadt des Depts. sehr alte, ansehnliche, große, schöne, reiche und berühmte Handelsstadt mit nahe an 100,000 Einwohnern, in einer mit Bergen umschlossenen, nur gegen das Meer hin offenen Ebene, an einem Busen des Mittelmeeres, 169 fr. Meilen von Paris; sie liegt in Gestalt eines Hufeisens, der Altstadt und der Neustadt. Die Altstadt, welche die größere Masse ausmacht, zieht sich auf der Nordseite an einer Anhöhe gegen den Haven hinunter; sie hat im Allgemeinen enge, steile, winklichte und schlecht gepflasterte Straßen, die beinahe durchgehends mit unansehnlichen Häusern besetzt sind; sie ist der volkreichste Theil der Stadt, und wird meist nur von den niedern Klassen bewohnt. Die Neustadt liegt auf der Süd- und Ostseite in einer großen Ausdehnung um den Haven her; sie zeichnet sich durch eine auffallende Regelmäßigkeit aus, hat schnurgerade, schöngepflasterte und mit massiven Gebäuden besetzte Straßen und wird vorzugsweise von den höhern Klassen bewohnt. Jede hat drei große Hauptstraßen, zwischen beiden genannten Stadtheilen läuft eine schöne, große hin, zu welcher auch der Cours gehört; sie geht von dem Thore von Aix bis zu dem Thore von Rom, ist auf beiden Seiten mit Bäumen besetzt, unter welchen in kleinen Entfernungen steinerne Bänke stehen; die Häuser sind symmetrisch gebaut und in der Mitte der Alleen sind einige Springbrunnen angebracht. Der Cours ist ein lebhafter Spaziergang; an seinem Ende ist der sehenswerthe Blumenmarkt. Die beiden Kajen, die sich in Hufeisengestalt am Haven hinziehen, sind sehr lebhaft und werth besucht zu werden. Ein dritter sehr angenehmer Spaziergang in der Stadt sind die Alleen von Meilhan.

Der öffentlichen Plätze sind ziemlich viele; die bemerkenswerthesten darunter sind: der Platz Castellane, der von St. Ferreol und der Komödienplatz.

Der ansehnlichen öffentlichen Gebäude sind mehrere. Unter denselben zeichnen sich besonders das Stadt- oder Rathhaus, nebst der Börse aus, das am Haven steht und ein merkwürdiges Gebäude ist; dann die vormal. Domkirche; die vormalige Predigerkirche; das vormalige große Karmeliter-Kloster, die Consigne, die neue Fischhalle, das neue Theater, das alte und das neue Arsenal, das Quarantänen-Lazareth, u. s. w. Der Kirchen und vormaligen Klöster sind hier viele.

Von menschenfreundlichen Anstalten sind jetzt noch vorhanden: das allgemeine Hospital, jetzt zugleich auch Fündlingshaus, das Armen-, Waisen- und Arbeitshaus, das Irrenhaus, das Kuhpocken-Institut; auch ist hier ein Wohlthätigkeits-Bureau und eine wohlthätige Gesellschaft; ferner gehört noch das Leihhaus hieher.

Die hiesigen Quarantäne-Anstalten sind musterhaft. Von literarischen Anstalten sind hier vorzüglich zu bemerken: das Lyceum, mit einer öffentlichen Bibliothek und einem botanischen Garten, die Schiffahrtsschule, die Sternwarte, ein Kunst-Museum, eine medicinische Gesellschaft, eine Akademie der schönen Künste und Wissenschaften, und mehrere Secondärschulen, Pensions- und Lehranstalten für beide Geschlechter. Man findet hier auch mehrere verdienstvolle Gelehrte und sehr geschickte Künstler.

Der Kunst- und Gewerbsfleiß ist hier sehr blühend; die Zahl der Fabriken ist noch beträchtlich; sie war es aber vor der Revolution noch weit mehr. Im Jahre 1803 zählte man hier: 27 Seifenfabriken, 30 Hutfabriken, 5 Zuckerraffinerien, 6 Fayencefabriken, 5 Kattundruckereien, 12 Seidenstrumpffabriken, 5 Tapetenfabriken, 17 Lohgärbereien, 20 Liqueur-Fabriken, 7 Stärkefabriken, 1 Papiermühle, 4 Glasfabriken, 5 Branntweinbrennereien, 4 Wachskerzenfabriken, 6 Talglichterfabriken, 4 Vitriol- und Schwefelfabriken, 7 Türkischgarnfärbereien, 9 Tunesische-Mützenfabriken, 9 Baumwollenfabriken, 10 Weinfabriken *) und eine Tabaksfabrik.

Die so wichtigen Korallen-, Porzellan-, Handschuh-, Korduan-, Zwirn- und Seiden-, Gold- und Silberstofffabriken sind seit der Revolution eingegangen, oder ruhen wenigstens zur Zeit noch.

Der sonst so äußerst wichtige und ausgebreitete Handel dieser Stadt, der sie in die Reihe der ersten Handelsstädte von Europa erhob, ist seit der Revolution und durch den Krieg sehr herabgesunken. Im Jahr 1788 liefen hier 5000 Schiffe ein -- im Jahr 1803 nur 1500! -- Der ehemals so wichtige Levantehandel ist jetzt auf ein Drittheil seines vorigen Betrags eingeschränkt; der westindische Handel ist so gut, als ganz vernichtet, der italiänische und spanische ist unbedeutend, der nordische kaum noch der Erwähnung werth!

Man rechnete, daß hier vor der Revolution monatlich für 15 bis 20 Millionen Livres Waaren umgesetzt wurden. Es wurde hier auch eine stark besuchte Messe gehalten, für welche im Jahr 1786 schöne Reihen steinerner Buben aufgeführt wurden. Die Schiffahrt und die Fischerei, besonders der Thunfischfang und dann auch die Korallenfischerei waren hier wichtige Erwerbszweige; die Fischer haben noch jetzt ihre eigene Gerichtsbarkeit

Der Haven, vor welchem die Rheede liegt, im Hintergrunde des Busens von Marseille, ist ein Meisterwerk der Natur und Kunst; es ist zu beiden Seiten mit Steindämmen eingefaßt und bildet ein länglichtes Viereck von 450 Toisen in der Länge und 130 in der Breite; die Tiefe ist von 16 bis 22 Fuß; die Einfahrt ist wegen der verborgenen Klippen etwas beschwerlich, auch hat sie nur 15 bis 16 Fuß Tiefe; in diesem schönen Haven können bei 900 Kauffartheischiffe vor allen Winden geschützt liegen; für Kriegsschiffe ist er nicht tief genug; zur Verhütung seiner Verschlämmung bedient man sich besonderer Maschinen. An und bei demselben sind alle zur Schifffahrt und Seehandel dienlichen Bequemlichkeiten angebracht, Magazine, Schiffswerfte und dergleichen; der Aufenthalt der Galeerensclaven ist jetzt nach Toulon versetzt; auch ist der Haven befestigt; er wird nämlich an seiner einfahrt von den zwei gegen einander über liegenden kleinen Festungen St. Jean, mit einem Leuchthurme, und St. Nicolas beschützt. Auf einem unzugänglichen Felsen liegt das alte Kastell Notre-Dame-la-Garde, das die Stadt beherrscht, jetzt aber nur noch zum Signalgeben dient.

Die Stadt selbst hat zwar sieben Hauptthore, ist aber nicht mehr befestigt; die Wälle, welche sie von den Vorstädten trennten, sind seit einige Jahren geebnet, mit Bäumen besetzt und zu einem Spaziergange gemacht; auch ist daselbst eine Säule von Granit mit dem marmornen Brustbilde Bonaparte's errichtet, mit mehreren passenden Verzierungen und der Inschrift: A Bonaparte vainqueur et pacificateur, Marseille reconnaissante.

Marseille ist bei seinem schönen Klima auch für Fremde ein angenehmer Aufenthalt; man findet hier alle Arten von Vergnügungen, zwei Schauspielhäuser, Bälle, Concerte, Gesellschaftszirkel u. s. w. Zum Baden sind gute Anstalten getroffen; auch giebt es öffentliche Spielhäuser. Es herrscht jedoch hier überhaupt viel Libertinage. Die Einwohner sind fröhliche, gesellige und gastfreie Leute, welche sehr das Vergnügen lieben. Marseille ist jetzt der Sitz der Präfektur und übrigen Obergewalten des Depts., des Generalstabs der 8ten Militär-Division, eines Handelsgerichts, einer Handelskammer, einer Consultationskammer für Manufakturen und Kunstgewerke, eines Marine-Commissärs u. s. w. Auch ist sie der Geburtsort mehrerer berühmter Männer.

*) Nämlich worin der Wein abgeklärt und zum Versenden zubereitet wird.

Die Gegend umher ist schön und hat mancherlei Merkwürdigkeiten; sie ist mit Gärten und kleinen Landhäusern (Bastides genannt) bedeckt.

Vor dem Hafen von Marseille liegen die drei befestigten Felsen-Inselchen: Pomegues, Ratonneau und If; das Kastell auf dem letzteren dient als Gefängniß.

2) Aix, vormalige Hauptstadt von Provence, sehr alte, ansehnliche, aber jetzt herabgekommene Stadt mit 27,000 Einwohnern, in einer Ebene am Flüßchen Arc. Sie ist nicht hübsch gebaut, hat aber mehrere ziemlich ansehnliche Gebäude. Eine besondere Zierde der Stadt ist der Cours. Die ehemals so berühmten warmen Bäder, welchen die Stadt ihr Daseyn danket, stehen nicht mehr im Rufe.

3) Martigues, Stadt mit 7000 Einwohnern und Seehaven an dem Ausflusse des sogenannten Teichs von Martigues oder von Berre.

4) Tarascon, Hauptstadt eines Bezirks, alte, ziemlich ansehnliche Stadt mit 10,000 Einwohnern am Rhone, über welchem hier eine Schiffbrücke nach der gegenüberliegenden Stadt Beaucaire führt, hat ziemlich viele Manufakturen.

5) Arles, alte, ansehnliche Stadt mit 20,000 Einwohnern, vor Zeiten Hauptstadt des im 9ten Jahrhunderte entstandenen prelatischen Reichs; sie liegt am Rhone, über welchen hier eine Schiffbrücke führt; die Stadt ist hübsch, hat aber keine gesunde Lage; sie hat viele Merkwürdigkeiten, besonders auch römische Alterthümer. Es sind hier viele Fabriken und der Handel ist ziemlich beträchtlich. Bei dieser Stadt und zum Theil im Kantone derselben sind zu bemerken:

(1) Die Crau, ein merkwürdiges, ungeheures Kieselfeld südwärts von Arles, an dem östlichen Arme des Rhone bis zum Meere hin, nimmt einen Flächenraum von mehr als 12 Quad. Meilen ein, und bildet zum Theil eine öde Wüste, deren Boden aus lauter Kieseln besteht.

(2) La Camargue, eine Insel von dreieckiger Gestalt, welche durch die beiden Hauptarme des Rhone bei ihrem Ausflusse in das Meer gebildet wird.


Quellen.[]

  1. Neueste Länder- und Völkerkunde. ein geographisches Lesebuch für alle Stände. Zweiter Band. Frankreich. Weimar, im Verlage des geographischen Instituts, 1806. = Neueste Kunde von Frankreich. Nach dessen gegenwärtigem Zustande aus Quellen dargestellt von Theophil Friedrich Ehrmann. Weimar, im Verlage des F. S. privil. Landes-Industrie-Comptoirs. 1806.
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